Von Martin Mosel
Zehn Euro. So viel fordert der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) an Entlastung pro Fluggast, um die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Luftverkehrsstandorts zu sichern. Zehn Euro – das ist der Preis für einen mittelmäßigen Snack mit Getränk am Gate. Oder für 58 Minuten Parken in Sichtweite des Terminals. Und doch sieht der BDL darin die Schicksalsfrage einer ganzen Volkswirtschaft.
Das wäre komisch, wenn es nicht so durchsichtig wäre.
„Wir bräuchten eine Entlastung von zehn Euro pro Gast. “

Dr. Joachim Lang ist seit dem 1. Juli 2024 Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL).
Die Zahl, die alles soll – und nichts erklärt
Der BDL verbindet mit dieser Forderung ein Narrativ: Deutschland sei steuerlich überlastet, wachstumsschwach, international abgehängt. Die Luftverkehrsteuer steht dabei exemplarisch im Fokus – als Symbol staatlicher Gängelung. Dabei genügt ein Blick ins eigene Haus: Das DLR-Gutachten 2025, vom Bundesverkehrsministerium beauftragt, kommt zu einem anderen Ergebnis. Es quantifiziert den Einfluss der gestiegenen Standortkosten – zu denen auch die Luftverkehrsteuer gehört – auf lediglich 3,2 % der schwachen Verkehrsentwicklung.
Manfred Kuhne bringt es in airliners.de vom 11. April 2025 noch treffender auf den Punkt: Selbst in einem alternativen Modellansatz errechnet das DLR einen Rückgang von nur 1,8 Millionen Passagieren – weniger als 10 % des gesamten Passagierrückgangs. Die restlichen Ursachen liegen strukturell und nachfrageseitig. Der BDL aber tut so, als hinge das Bruttosozialprodukt am Bordkaffee.
Politischer Dauerstress mit Tunnelblick
Der BDL agiert nicht mehr wie ein Verband, sondern wie eine mediale Dauerschleife: Pressemitteilung, Talkshow, Brandbrief. Die Forderung nach Entlastung wird mit einer Vehemenz vorgetragen, die das Problem überhöht – und alle Gegenargumente ignoriert. In einem Flugmarkt, in dem Ticketpreise im dreistelligen Bereich liegen. In einem System, das auf weitgehender Steuerbefreiung für Kerosin und internationalen Flugbetrieb basiert. Die Wahrheit ist: Die Luftverkehrsteuer ist kein Problem. Sie ist eine der wenigen fiskalischen Korrekturen im ansonsten hochprivilegierten Flugverkehr.
Das bestätigt auch das Umweltbundesamt (UBA) in seiner aktuellen Studie zur Lenkungswirkung von Energiepreisbestandteilen. Steuerliche Eingriffe sind demnach notwendig, um klimaschädliche Strukturen zu verändern – nicht, um sie zu schonen.
Die Bahn als Feindbild – weil die Argumente fehlen
Besonders bezeichnend ist der Versuch, die Bahn als unfairen Wettbewerber darzustellen. Dabei ist es politischer Wille, dass Inlandsflüge durch Bahnangebote ersetzt werden – nicht Fehlsteuerung. Das DLR-Gutachten benennt diese Substitution explizit als strukturelle Entwicklung. Wer das als Verzerrung brandmarkt, stellt sich nicht nur gegen die eigenen Daten – sondern gegen jede klimapolitische Zielsetzung.
Der blinde Fleck: internationale Steuerfreiheit
Was der BDL konsequent ausblendet: Der eigentliche Wettbewerbsnachteil entsteht nicht durch die Luftverkehrsteuer – sondern durch die faktische Steuerfreiheit internationaler Flüge. Kein Kerosinzuschlag. Keine Mehrwertsteuer. Die Luftverkehrsteuer fällt nur in Deutschland beim Abflug an – wer von Amsterdam oder Basel fliegt, spart. Doch statt auf eine europäische Lösung zu drängen, will der BDL deutsche Regeln schleifen. Das ist keine Zukunftsstrategie – das ist Standortegoismus auf Kurzstrecke.
Die Illusion der Wettbewerbsfähigkeit
Was der BDL mit seiner 10-Euro-Forderung suggeriert, ist ein idealisierter Rückblick in eine Zeit, in der der Flugverkehr nahezu steuerfrei, ohne größere Umweltauflagen und mit weitgehend politischer Rückendeckung expandieren konnte. Doch diese Zeiten sind vorbei – aus gutem Grund. Der gesellschaftliche und politische Druck hin zu mehr Nachhaltigkeit, zu fairer Kostenverteilung und zu intermodaler Gerechtigkeit wächst. Der Flugverkehr muss sich dieser Realität stellen. Die Branche hingegen tut so, als hätte sich nichts verändert – und reagiert mit Abwehr statt mit Anpassung.
Die Forderung nach Wettbewerbsfähigkeit kann nur ernst genommen werden, wenn sie die externen Kosten des Luftverkehrs einbezieht. Gesundheitsfolgen durch Lärm, Klimaschäden durch Emissionen, Flächenverbrauch durch Infrastrukturen – all das wird nicht durch Steuern, sondern durch die Allgemeinheit getragen. Die Luftverkehrsteuer ist kein übergriffiges Hindernis, sondern ein kleiner Schritt in Richtung Kostenwahrheit.
Warum die politische Reaktion entscheidend ist
Die eigentliche Frage lautet nicht: Ist die 10-Euro-Forderung plausibel? Sondern: Warum wird sie so laut, so penetrant, so offensiv vertreten – trotz gegenteiliger Gutachten? Die Antwort liegt in der politischen Erpressungskraft, die sich aus der strategischen Position des Luftverkehrs ableitet: Symbol für Globalisierung, nationale Erreichbarkeit, wirtschaftliche Anbindung. Wer am Luftverkehr spart, so das unausgesprochene Mantra, schwächt Deutschland.
Doch dieser Mythos bröckelt. Die Realität ist: Deutschland braucht einen Luftverkehr, der ökonomisch robust, ökologisch tragfähig und gesellschaftlich legitimiert ist. Und das geht nicht über rabiate Steuersenkungen, sondern über verantwortungsvolle Regulierung. Wenn Politik dieser Scheinlogik der Branche nachgibt, verspielt sie nicht nur Klimaziele, sondern auch ihre Glaubwürdigkeit.
Fazit: Die 10-Euro-Kampagne hat ihren Kredit verspielt
Manfred Kuhne fasst es treffend zusammen: Die Luftfahrtbranche hat mit ihrer faktenwidrigen Kampagne Kredit verspielt. Und Du, BDL? Du forderst weiter lautstark – entgegen der Faktenlage, entgegen dem Gutachten, entgegen dem klimapolitischen Auftrag. Die 10-Euro-Frage ist keine ökonomische Notwendigkeit. Sie ist ein Symbol für eine Branche, die die Realität leugnet, politische Entlastung einfordert, aber keine Verantwortung übernimmt.

Wer Klimaschutz ernst meint, darf sich von diesem Alarmismus nicht einschüchtern lassen – sondern ihm mit Sachverstand und Klarheit begegnen. Nicht am Flughafenkaffee wird entschieden, ob eine Steuer gerechtfertigt ist – sondern an den Fakten. Und die sprechen eine andere Sprache.
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