Genehmigungslücken und gezielte Ablenkung – Hamburgs Nachtflugproblem eskaliert

Während sich Hamburg zur Sustainability Week als Modellregion für nachhaltige Stadtentwicklung inszeniert, entgleitet dem Senat und den zuständigen Behörden ein zentrales Thema völlig: der Luftverkehr – insbesondere die wachsende Zahl nächtlicher Verspätungsflüge. Aktuelle Auswertungen des Umweltverbands BIG Fluglärm in Hamburg zeigen: Bis Ende Mai 2025 kam es zu 192 Starts und Landungen nach 23 Uhr – zusätzlich sieben nach Mitternacht. Der Flughafen reklamiert fünf weitere Nachtflüge für sich. Die Hamburger Umweltbehörde zählt in ihrer offiziellen Statistik bis Mai 2025 197 Flüge nach 23 Uhr und weitere acht Flüge nach Mitternacht. Ein neuer Höchststand, der das Vorjahresniveau bereits deutlich übersteigt und nahe an das viel zitierte Referenzjahr 2019 heranreicht. Und das bei einem insgesamt geringeren Verkehrsaufkommen als vor der Pandemie.

Quelle: Umweltbehörde

Wer sind die Verursacher?

Besonders gravierend ist die Verteilung: Mehr als die Hälfte dieser nächtlichen Flugbewegungen entfällt auf Eurowings und Lufthansa. Die durchschnittliche Verspätung dieser beiden Airlines liegt bei 21 Minuten – ein deutlicher Anstieg gegenüber dem Vorjahr. Die sogenannte „Verspätungsregelung“ erlaubt Starts und Landungen nach 23 Uhr nur bei „unvermeidbaren“ Verspätungen. Doch die Realität zeigt: Die Regelung ist längst zur systematischen Einflugschneise für Nachtflüge geworden – ein Einfallstor für wirtschaftliche Interessen zulasten des Gesundheitsschutzes.

Martin Mosel, Vorsitzender der BIG, bringt es auf den Punkt:

„Wenn sich eine Airline nahezu täglich auf ‚unvermeidbare‘ Gründe beruft, dann ist das entweder ein Zeichen mangelnder Zuverlässigkeit – oder ein einkalkulierter Geschäftsmodus, der auf Kosten der Betroffenen geht. Die Verspätungsregelung in Hamburg lädt regelrecht zum Missbrauch ein. Sie ist kein Schutzinstrument, sondern ein Freibrief.“

Angesichts der Faktenlage prüft der Umweltverband BIG nun rechtliche Schritte gegen Eurowings – eine Airline, die seit Jahren an der Spitze der nächtlichen Verspätungsstatistik steht.

BIG unter Druck

Gleichzeitig wird der öffentliche Diskurs zunehmend vergiftet. Auf die sachlich begründete Pressemitteilung der BIG zur Verspätungsproblematik reagierte der Flughafen mit einem bemerkenswerten Schritt: Im öffentlichen Widerspruch bezichtigte der Flughafen die BIG der „Stimmungsmache“.

Klaviatur der Empörung

Auf der Plattform LinkedIn geht der Vertreter des Flughafens den Verband direkt an und wirft ihm „Populismus“ vor, würde die Realität bewusst „wider besseres Wissen“ verzerrt darstellen, und das sei „unerträglich“ – man merkt: Da ist jemand ganz tief in die Werkzeugkiste der Abwehrkommunikation gestiegen. Eine plakative Aktion, die weniger der Aufklärung als vielmehr der Ablenkung und des Angriffs dient. Der Nerv wurde wohl direkt an der Wurzel getroffen.

Dabei ist der Vorwurf leicht zu entkräften: Die Daten der BIG stammen aus dem anerkannten Sekundärradarsystem des Deutschen Fluglärmdienstes (DFLD) und sind sekundengenau ausgewertet. Im Mai 2025 wurden beispielsweise sieben Starts und Landungen in der Minute 22:59 Uhr registriert, vier davon zwischen Sekunde 37 und 59. Solche Grenzfälle können je nach Schnittstelle, Zeitstempel und Auslesesystem technisch unterschiedlich zugeordnet werden. Diese Flüge haben wir der Zeit nach 23 Uhr nicht zugerechnet. Eine von der BIG initiierte Überprüfung durch die Umweltbehörde hat nachträglich ergeben, dass fünf dieser Flugbewegungen der Zeit nach 23 Uhr, mithin der Verspätungsregelung, zuzurechnen sind. An den Datenerhebungen der BIG gibt es damit keine Zweifel. Unsere berechtigte Kritik an einem systemisch fehlgeleiteten Nachtflugbetrieb mit wachsendem Einfluss auf Gesundheit, Schlafqualität und Lebensqualität vieler zehntausender Menschen wird vom Flughafenvertreter bewusst ins Lächerliche gezogen.

Mosel dazu:

„Dass ein Vertreter eines öffentlichen Unternehmens der Freien und Hansestadt Hamburg versucht, berechtigte Kritik als Populismus zu framen, ist bezeichnend – und entlarvend. Man will keine Debatte über die Realität, sondern verteidigt ein Geschäftsmodell mit allen Mitteln. Dabei ignoriert man, dass diese Realität jede Nacht über den Köpfen Hunderttausender stattfindet.“

Hamburg steuert so nicht auf mehr Nachhaltigkeit zu – sondern auf einen Kontrollverlust. Die Nachhaltigkeitskommunikation des Senats steht in eklatantem Widerspruch zu seinem Handeln im Luftverkehr. Wer sich die Sustainable Development Goals (SDG) auf die Fahnen schreibt, darf Nachtflüge nicht dulden, sondern muss konsequent gegensteuern: mit klaren Betriebszeitgrenzen, der Abschaffung der Ausnahmeregelung und einem echten Schutz der Bevölkerung.

Hamburg braucht keine PR-Offensive – sondern politischen Willen. Keine Vorwürfe – sondern Verantwortung. Keine Starts und Landungen nach 23 Uhr – sondern endlich: Ruhe.


🔗 Pressemeldung der BIG

🔗 Berichterstattung NDR

🔗 Berichterstattung Moin.de

🔗 Berichterstattung Hamburger Abendblatt