Alles aus einer Hand: Strukturprinzip statt Zufall
Von Martin Mosel
Der Satz „Alles aus einer Hand“ war nie offizieller Slogan der SPD – aber ein geflügeltes Wort im Hamburger Politikbetrieb. Geprägt hat ihn Harald Rösler, langjähriger SPD-Bezirksamtsleiter von Hamburg-Nord, Vorsitzender der Hamburger Fluglärmschutzkommission (FLSK) und einst selbst im Aufsichtsrat des Flughafens aktiv – eine Rolle, die Nähe und Neutralität systematisch verwischte. Später stolperte Rösler über die sogenannte Rolling-Stones-Affäre rund um fragwürdige Ticketvergaben – ein Abgang, der zeigte, wie eng politische Macht und strukturelle Intransparenz verbunden sein können.
Heute ist Rösler Geschichte. Doch sein Bonmot lebt. Wer sich die Machtverhältnisse rund um den Flughafen Hamburg anschaut, erkennt schnell: „Alles aus einer Hand“ ist hier kein Kalauer, sondern gelebtes Prinzip. Die SPD hat sich in nahezu allen Schlüsselpositionen festgesetzt – von der Genehmigung über die Kontrolle bis zur Beteiligung. Politische Vielfalt? Lärmschutz? Bürgerbeteiligung? Fehlanzeige.
Personalie Schomburg und Rückkehr der alten Strukturen
Seit Februar 2025 steht Dr. Bettina Schomburg an der Spitze des Bezirksamts Hamburg-Nord. Juristin, SPD-Mitglied, zuvor politisch kaum in Erscheinung getreten. Ihre Verwaltungslaufbahn gilt als geradlinig, aber wenig markant – ein Aufstieg aus dem politischen Abseits.
Das Bezirksamt verantwortet die Entwicklung der Flughafen-Suprastruktur – also alles, was rund um das Gelände geplant, gebaut oder verändert wird. Seit April 2025 steht Schomburg zudem der Hamburger Fluglärmschutzkommission (FLSK) vor – jenem Gremium, das laut Gesetz die Interessen der betroffenen Gemeinden und Bürger*innen gegenüber dem Flughafen vertreten soll.
Eine Konstellation, die selbst bei neutraler Betrachtung einen klaren Interessenkonflikt birgt: Die Verwaltung, die planerisch für lärmverursachende Maßnahmen mitverantwortlich ist, kontrolliert nun deren Auswirkungen – unter parteipolitischem Vorzeichen.
Pressemitteilung der BIG vom 09.02.2025:
„Die Wahl ist Ausdruck eines systemischen Missbrauchs politischer Macht – Fluglärmschutz verkommt zur parteipolitischen Beute, ein offenkundiger Interessenkonflikt wird bewusst in Kauf genommen.“
Besonders aufschlussreich ist der Weg zu dieser Personalentscheidung. Noch 2019 hatte die Bezirksversammlung Hamburg-Nord – auf Initiative von SPD und Grünen – ausdrücklich beschlossen, dass das Bezirksamt keine Rolle mehr im Vorsitz der FLSK spielen solle. Diese Entscheidung war eine direkte Reaktion auf die Personalie Harald Rösler. Die Fraktionen erkannten damals den Zielkonflikt zwischen politischer Führung, Flughafenaufsicht und Kommissionsvorsitz als strukturelles Problem – und wollten ihn institutionell beenden.
Nur wenige Tage vor der Neuwahl in der Kommission wurde dieser Beschluss im Eilverfahren aufgehoben – diesmal auf Antrag der neuen Mehrheiten von SPD, CDU und FDP. Ein politischer Kurswechsel, der verdeutlicht: Prinzipien gelten nur, solange sie parteipolitisch nützlich sind.
Dass Dr. Schomburg ihre Kandidatur erst Stunden vor der Wahl erklärte, war kein Zufall. Der Bezirk hatte innerhalb von drei Tagen gezielt die formalen Voraussetzungen geschaffen – institutionell organisiert, politisch gewollt, formal unangreifbar.
Auch politisch wird die Personalentscheidung kritisch eingeordnet: Die Grünen im Bezirk Hamburg-Nord sprechen in einer öffentlichen Stellungnahme vom „Comeback des SPD-Filzes“. Die Rückkehr des Bezirksamts in den Vorsitz der Fluglärmschutzkommission sei ein klarer Bruch mit dem Vorsatz, Interessenkonflikte zu vermeiden – ein Rückfall in alte Muster, der öffentlich kaum begründet worden sei.
Kodex und Kontrolle: Steuerung und Aufsicht ohne Trennung
Der Hamburger Corporate Governance Kodex (HCGK) soll die verantwortungsvolle und demokratisch legitimierte Steuerung öffentlicher Unternehmen sichern – durch klare Regeln für Transparenz, Kontrolle und die Trennung von Steuerung und Aufsicht. Doch ein Blick in die aktuelle Entsprechenserklärung der Flughafen Hamburg GmbH zeigt: Diese Prinzipien gelten für den Hamburger Flughafen allenfalls eingeschränkt.
Präambel des HCGK:
„Der Kodex verdeutlicht die Verpflichtung von Geschäftsführung und Aufsichtsrat, im Einklang mit den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft für den Bestand des Unternehmens und seine nachhaltige Wertschöpfung zu sorgen (Unternehmensinteresse). Diese Prinzipien verlangen nicht nur Legalität, sondern auch ethisch fundiertes, eigenverantwortliches Verhalten (Leitbild des Ehrbaren Kaufmanns).“
So sieht der Kodex vor, dass der Aufsichtsrat bei unternehmerischen Entscheidungen von besonderer Tragweite ein echtes Mitspracherecht haben soll. In Hamburg jedoch fällt diese Rolle der Gesellschafterversammlung zu – dominiert von der SPD-geführten Wirtschaftsbehörde.
Brisant daran: Der Vorsitzende des Aufsichtsrats, SPD-Staatsrat Andreas Rieckhof, ist zugleich Vertreter der Stadt in eben dieser Gesellschafterversammlung. Er überwacht also einerseits die Geschäftsführung – tritt andererseits aber bei grundlegenden Entscheidungen hinter seine eigene Rolle als Gesellschaftervertreter zurück. Kontrolle und Steuerung sind damit in Personalunion verschmolzen. Der Kodex hingegen verlangt zu Recht: Wer kontrolliert, darf nicht gleichzeitig weisungsbefugt sein.

Andreas Rieckhof, SPD
Geboren am 18. Juni 1959 in Hamburg, aufgewachsen in Abidjan (Rep. Elfenbeinküste) und in Nordrhein-Westfalen.
Seit 10. Juni 2020 Staatsrat der Behörde für Wirtschaft und Innovation.
Quelle: hamburg.de
Strategische Entscheidungen, die laut Kodex im Austausch zwischen Geschäftsführung und Aufsichtsrat abgestimmt werden sollen, werden am Flughafen Hamburg faktisch im Konsortialausschuss der Gesellschafter getroffen. Dieser Ausschuss ist kein beratendes Gremium – er verfügt über bindende Steuerungsbefugnisse.
Besonders heikel: Der private Minderheitsgesellschafter besitzt weitreichende Veto-Rechte. So können etwa Änderungen der öffentlich-rechtlichen Genehmigungen oder Fragen des Umwelt- und Lärmschutzes nur im Einvernehmen mit dem privaten Partner beschlossen werden. Hamburg hat sich damit selbst aus der strategischen Steuerung zurückgezogen – und zugleich eine strukturelle Blockadeoption für seinen privaten Mitgesellschafter geschaffen.
Das Prinzip der doppelten Kontrolle – durch Geschäftsführung und Aufsichtsrat – wird systematisch umgangen. Der Kodex fordert geteilte Verantwortung – Hamburg verlagert sie in einen privat dominierten Ausschuss, der außerhalb öffentlicher Rechenschaft und Transparenz operiert.
Hinzu kommt: Auch bei der Bestellung und Vergütung der Geschäftsführung verlässt Hamburg den Kodexpfad. Statt der Kontrolle durch den Aufsichtsrat übernimmt die Gesellschafterversammlung auch hier die zentrale Entscheidungsrolle. Die Exekutive bestellt und bezahlt ihre eigenen Kontrolleure – ein massives strukturelles Problem.
Politische Verflechtungen statt unabhängiger Aufsicht
Diese strukturelle Konzentration wird auch personell sichtbar. An der Spitze der Wirtschaftsbehörde: Dr. Melanie Leonhard, Senatorin und SPD-Landesvorsitzende. Zuständig für alles, was fliegt oder genehmigt werden muss. Ihr Staatsrat: Andreas Rieckhof – SPD, Aufsichtsratsvorsitzender, politische Schlüsselperson.
Ein Aufsichtsratsvorsitzender, der unter der politischen Führung derer steht, die er kontrollieren soll? Der Kodex fordert unabhängige Aufsicht – Hamburg liefert die Personalunion mit SPD-Parteisiegel.
Hinzu kommt: Die HGV, Hamburgs städtische Beteiligungsgesellschaft, hält 51 Prozent der Anteile am Flughafen – verwaltet durch die Wirtschaftsbehörde. Kontrolle, Eigentum, Steuerung – gebündelt in einer politischen Linie, vereint aus einer Hand.
An der Spitze dieser fein orchestrierten Struktur: Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher, SPD. Als Regierungschef führt er den Senat und legt die politischen Leitlinien fest. Keine Einzelfallweisungen, kein Durchregieren – aber ein klarer Kurs, der oben gesetzt wird und unten wirkt.
So schließt sich die parteipolitische Steuerungskette rund um den Flughafen nahezu nahtlos – im Tiefflug vom Terminal bis zur Senatskanzlei. Was fehlt, ist der Ausgleich durch politische Vielfalt und demokratische Pluralität – genau jene Grundprinzipien, die öffentliche Unternehmen besonders beachten müssten.
Demokratische Leerstellen und ein überfälliger Neustart
Das Ergebnis: Eine Flughafenpolitik, die sich selbst beaufsichtigt, selbst genehmigt, selbst kontrolliert – und dabei nach außen maximale Rechtskonformität betont. Doch Demokratie ist mehr als Paragraphentreue. Sie bedeutet funktionale Trennung, kritische Distanz, pluralistische Besetzung.
All das fehlt in Hamburgs Flughafenstruktur weitgehend. Und die Entsprechenserklärung im Geschäftsbericht dokumentiert dies schwarz auf weiß.
Wer sich wundert, warum Beschwerden über immer mehr Nachtflüge folgenlos bleiben, warum wohlbegründete Anträge abgelehnt werden, erforderliches Einschreiten unterbleibt und kritische Gutachten aus der Zivilgesellschaft ignoriert werden, muss nur auf das politische Personal schauen. Die Gesichter wechseln gelegentlich, die Parteibücher bleiben.
Jetzt, da SPD und Grüne in Hamburg über eine Neuauflage ihres Regierungsbündnisses verhandeln, ist der Moment gekommen, die Karten neu zu mischen. Es wäre ein starkes Signal, wenn der künftige Senat strukturelle Schwächen korrigiert, personelle Verflechtungen kritisch prüft und die Grundlagen für echte demokratische Kontrolle schafft – im Sinne einer transparenten, fairen und pluralistischen Governance.
Es ist an der Zeit, Macht neu zu ordnen. Kontrollgremien müssen unabhängig besetzt, Bürgerbeteiligung darf nicht länger durch Parteidisziplin ausgebremst werden. Wer Lärmschutz und Gemeinwohlpolitik ernst nimmt, muss auch die Strukturen reformieren, aus denen Entscheidungen erwachsen – und sie öffnen für echte Vielfalt und eine Beteiligungskultur, die diesen Anspruch wirklich erfüllt.
Ein Satz – ein Prüfstein
„Alles aus einer Hand“: Der Satz war einst launig gemeint. Heute ist er ein Prüfstein politischer Glaubwürdigkeit. Nutzen wir die Chance, ihn neu zu schreiben – im Sinne einer Stadt, die sich demokratische Luftfahrtpolitik leisten will.