Die Europäische Kommission arbeitet derzeit an einer grundlegenden Reform des europäischen Luftverkehrsrechts. Im Mittelpunkt steht die Überarbeitung der sogenannten Flugdienste-Verordnung (EG) Nr. 1008/2008, die seit über drei Jahrzehnten den rechtlichen Rahmen für Flugverbindungen, Genehmigungen und Marktbedingungen innerhalb der Europäischen Union bildet.
Der Umweltverband BIG Fluglärm in Hamburg hat sich an dem laufenden Konsultationsverfahren beteiligt und eine ausführliche Stellungnahme eingereicht. Unsere zentrale Botschaft: Der Luftverkehr muss sich dem Klimaschutz unterordnen – nicht umgekehrt. Wer den Markt organisiert, muss auch Verantwortung übernehmen für die Folgen, die Fluglärm, Emissionen und ungleiche Beteiligung mit sich bringen.
Was regelt die Flugdienste-Verordnung?
Die Flugdienste-Verordnung legt fest, welche Airlines innerhalb der EU operieren dürfen, wie Flugrechte vergeben werden, unter welchen Bedingungen Linienflüge zugelassen sind, wie sich Ticketpreise zusammensetzen müssen und wann Mitgliedstaaten eingreifen dürfen – z. B. im Fall von Krisen, Insolvenzen oder gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen.
Die EU-Kommission will nun den gesamten Regelrahmen aktualisieren und „krisenfester, wettbewerbsfähiger und nachhaltiger“ gestalten. Dazu läuft bis Ende 2025 ein formales Gesetzgebungsverfahren mit öffentlicher Beteiligung.
Die Stellungnahme der BIG – unsere wichtigsten Forderungen
Die BIG Fluglärm in Hamburg begrüßt die Initiative grundsätzlich – sieht aber deutlichen Nachbesserungsbedarf. Die Stellungnahme umfasst vier zentrale Themenfelder:
1. Klimaschutz und Dekarbonisierung
- Der Luftverkehr ist einer der klimaschädlichsten Verkehrsbereiche – und bislang fast steuerfrei.
- Kurzstreckenflüge unter 600 km müssen auf die Bahn verlagert werden, wo Alternativen existieren.
- Marktzugang und Verkehrsrechte sollten an Umweltstandards gekoppelt werden – auch für Nicht-EU-Airlines.
- Fördermittel, Steuervergünstigungen oder Slotprivilegien darf es nur noch für emissionsarme Mobilitätsangebote geben.
- Zudem fordern wir verbindliche Klimaresilienzstrategien: Bereits heute sind mehr als ein Zehntel aller Flugverspätungen auf extreme Wetterlagen zurückzuführen. Die Branche muss sich auf zunehmende Turbulenzen, Hitze, Starkregen und Stürme vorbereiten.
2. Lärmschutz, Nachtruhe und Gesundheit
- Fluglärm ist gesundheitsschädlich. In Städten wie Hamburg leiden Hunderttausende unter permanentem Krach.
- Die EU-Verordnung muss es ermöglichen, Verkehrsrechte an konkrete Lärmschutzauflagen zu binden.
- Besonders nachts braucht es klare Regeln: Die gesetzlich geschützte Nachtruhe von 22 bis 6 Uhr muss europaweit verbindlich berücksichtigt werden.
- Verspätungsregeln dürfen nicht länger als Schlupfloch für nächtlichen Flugbetrieb missbraucht werden.
- Flughäfen mit hoher Belastung sollten an lärmbasierten Slotkriterien und verbindliche Lärmobergrenzen gebunden werden.
3. Bürger*innenrechte und demokratische Teilhabe
- Fluggäste müssen vollständig über Preisbestandteile, Rückerstattungsrechte und Umweltwirkungen informiert werden.
- Für Bürger*innen, Umweltverbände und Kommunen braucht es verbindliche Beteiligungsrechte – etwa bei der Zulassung neuer Routen, Slotvergabe oder Flughafenerweiterungen.
- Die heutige Dienstleistungsfreiheit für Airlines darf nicht länger einseitig zu Lasten der betroffenen Bevölkerung ausgelegt werden.
- Entscheidungen müssen am Vorsorgeprinzip und an den Grundsätzen umweltbezogener Gerechtigkeit ausgerichtet sein.
4. Verbindlichkeit statt Freiwilligkeit
- Wir fordern, dass alle Streckenentscheidungen künftig einer verpflichtenden Umweltprüfung unterzogen werden.
- Die Einführung von ökologischen Schwellenwerten – z. B. für CO₂-Ausstoß oder Lärmemissionen – als Voraussetzung für Marktzugang ist aus Sicht der BIG überfällig.
- Auch die bereits in mehreren EU-Staaten diskutierten klima- und lärmbasierten Slotzuteilungen sollten europaweit rechtlich ermöglicht werden.
Warum ist das für Hamburg relevant?
Als städtisch gelegener Flughafen mit hoher Lärmbelastung und wachsendem Flugangebot ist Hamburg von den geplanten Neuregelungen in mehrfacher Hinsicht betroffen.
Ohne klare Regeln auf EU-Ebene wird sich auch lokal wenig bewegen – weder bei Nachtflügen noch beim Lärmschutz oder bei der Verlagerung von Kurzstrecken. Unsere Forderungen zielen darauf ab, das Bewusstsein für die europäische Dimension des Flugverkehrs zu stärken und klare Regeln für den Schutz von Mensch, Klima und Umwelt zu verankern.
Unsere Botschaft an die EU-Kommission
Die Überarbeitung der Flugdienste-Verordnung ist eine Bewährungsprobe für Europas Glaubwürdigkeit beim Umwelt- und Gesundheitsschutz. Wer Nachhaltigkeit ernst meint, muss auch den Flugverkehr neu regulieren.
Wir fordern die EU auf: Beenden Sie das ökologische Ausnahme-Regime der Luftfahrt. Sorgen Sie für klare, verbindliche und gerechte Regeln.
👉 Die vollständige Stellungnahme der BIG steht hier zum Download bereit.
🇪🇺 Informationen zur Initiative der EU-Kommission gibt es hier.