Immer mehr Nachtflüge trotz weniger Flugverkehr / Politik duckt sich weg / Wird ein rechtlicher Graubereich ausgenutzt?

Die Hamburger Umweltbehörde hat ihre aktuelle Statistik der Nachtflüge nach 23 Uhr veröffentlicht. Bis Ende September 2023 sind bereits 650 Flugzeuge außerhalb der regulären Betriebszeit bis 24 Uhr gestartet und gelandet. Im Referenzjahr 2019 waren es im Vergleichszeitraum 573 Flüge. Für Starts und Landungen nach Mitternacht wurden dieses Jahr bereits 21 (2019: insgesamt 25) Ausnahmegenehmigungen erteilt.

Dazu Martin Mosel, Vorsitzender des BIG | Dachverband der Bürgerinitiativen und Vereine für Fluglärm-, Klima- und Umweltschutz e.V. (BIG-Fluglärm Hamburg):

„Die Leidtragenden sind die Menschen, denen konsequent die Nachtruhe vorenthalten wird, die die wachsende Fluglärmbelastung besonders in der Nacht zu ertragen haben. Diese Entwicklung erscheint umso absurder, weil trotz einer aktuellen Verkehrsauslastung von nur rund 80 Prozent die Verspätungen nach 23 Uhr völlig überproportional steigen. Bis zum Beginn der Herbstferien im Oktober sind rund 35 weitere Verspätungen dazugekommen. Und mit dem Flugverkehr während der Herbstferien dürfte sicher keine Entlastung zu erwarten sein. Wir sind es nicht müde, immer und immer wieder auf die negative Entwicklung dieser Belastungen durch den Flugverkehr hinzuweisen. Das mag die Verantwortlichen langweilen. Wir erwarten von ihnen ganz einfach eine Verbesserung dieser gesundheitlich hochbelastenden Situation.“

Trotz der Entlastung durch die Pistensperrungen im Juni und im September stören 2023 immer mehr Nachtflüge die Nachtruhe in Hamburg und den Umlandgemeinden.

Während der Bauarbeiten am Pistensystem im Juni und September wurde der ganze Flughafen bzw. die Pisten ab 23 Uhr von der zuständigen Luftfahrbehörde in der Hamburger Wirtschaftsbehörde (BWI) nach § 45 Abs. 3 LuftVZO außer Betrieb genommen. Über NOTAM („Notice to Air Mission“), das Mitteilungssystem der Luftfahrt, wurden die Flugzeugführer von der Sperrung unterrichtet. Verspätungen sind in dieser Zeit weitgehend ausgeblieben.

„Das zeigt doch, dass mit einer klar kommunizierten regulatorischen Maßnahme die Fluggesellschaften durchaus in der Lage sind, so zu planen, dass ein bestimmungsgemäßer Gebrauch der Fluglärm-Schutzvorschriften in Hamburg, in diesem Fall die Nachtflugbeschränkung, möglich ist“, stellt Mosel fest.

Anhaltende Tatenlosigkeit der Politik ist entlarvend.

Trotz inständiger Appelle und Bitten von Fluglärmschutzkommission und Allianz für den Fluglärmschutz sowie den intensiven Gesprächen mit den Verantwortlichen zeichnet sich keine Verbesserung und Entlastung ab. Für die Hamburger Wirtschaftsbehörde (BWI) als zuständige Luftfahrbehörde steht die Nachtflugbeschränkung und die Verspätungsregel trotz der signifikanten Fehlentwicklung noch immer für einen „angemessenen Ausgleich und Kompromiss“ einerseits von der wirtschaftlichen Bedeutung des Flughafens für den Haushalt und andererseits den berechtigten Schutzbedürfnissen der Bevölkerung. Die Bilanz hiervon fällt jedoch sehr einseitig zugunsten der wirtschaftlichen Interessen aus.

„Die vielen Flugbewegungen in der gesetzlichen Nachtruhe und außerhalb der genehmigten Betriebszeit zeigen, dass die aktuelle Nachtflugbeschränkung untauglich ist, den ihr zugeschriebenen Schutz der Bevölkerung vor unzumutbaren Fluglärm zu erfüllen. Von den 873 Nachtflugbewegungen 2022 zwischen 23 bis 24 Uhr sollen alle Flüge auf ihre Zulässigkeit überprüft worden sein [1]. Lediglich bei acht Flügen hat die Fluglärmschutzbeauftragte die Zulässigkeit im Nachhinein verworfen. Mit dem aktuellen Bewertungsmaßstab sind also mehr als 99 Prozent der Flugbewegungen innerhalb einer Flugbeschränkung zum Schutz der Nachtruhe zulässig. Das ist doch absurd!“, zeigt sich Mosel verärgert.

Nur noch Lippenbekenntnisse.

Und von den Signalen und Versprechungen aus der Politik bleiben nur Lippenbekenntnisse. Auf die versprochenen Maßnahmen, die Entwicklung der Nachtflugbewegungen zu bremsen oder gar zu stoppen, warten die Betroffenen seit Jahren vergeblich. Während der SPD-Fraktionsvorsitzende, Dirk Kienscherf, das große Lamento „Um 23 Uhr muss Schluss sein“ führt, hat sich sein Koalitionspartner von den Grünen, Dominik Lorenzen, wohl ein Schweigegelübde auferlegt und sich von konkreten Vorschlägen und Maßnahmen ganz verabschiedet. Seine grüne Kollegin Miriam Putz lässt immerhin wissen, die Grünen „wüssten genau, woran es liegt“. Bei konkreter Nachfrage bleibt sie aber im Ungefähren.

„Die Betroffenen des Nachtflugbetriebes und vom steigenden Fluglärm haben es satt, sich die immer gleichen Erklärungen und die sich wiederholenden Begründungen und Entschuldigungen für die Verspätungen von den Fluggesellschaften und vom Flughafen anzuhören. Wir können dem einfach keinen Glauben mehr schenken“, ergänzt Mosel.

Pressemeldung vom 22.10.2023


[1] „6. Jährlicher Bericht der Fluglärmschutzbeauftragten über die Entwicklung der Fluglärmsituation in Hamburg und über ihre Tätigkeit“, Mitteilung des Senats an die Hamburgische Bürgerschaft, Drucksache 22/12360 vom 27.06.2023, https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/84269/6_jaehrlicher_bericht_der_fluglaermschutzbeauftragten_ueber_die_entwicklung_der_fluglaermsituation_in_hamburg_und_ueber_ihre_taetigkeit.pdf

Hinweise:
Am Hamburger Flughafen gilt eine Nachtflugbeschränkung für die Zeit von 23 bis 6 Uhr. Im Zeitraum von 23 bis 24 Uhrdürfen nur unvermeidbar verspätete Flüge des Linien- und regelmäßigen Pauschalreiseverkehrs starten und landen, wenn deren ursprünglich geplante Abflug- oder Ankunftszeit vor 23 Uhr liegt.