Kerosinmangel in Hamburg – Symptom einer fossilen Sackgasse

Ein Kommentar von Martin Mosel, Vorsitzender des Umweltverbands BIG Fluglärm in Hamburg.

Der aktuelle Kerosinengpass am Flughafen Hamburg hat in den letzten Tagen für Schlagzeilen gesorgt. Flüge mussten gestrichen oder umgeleitet werden, Airlines waren gezwungen, alternative Versorgungswege zu finden. Auf den ersten Blick mag es fast ironisch wirken: Der Flughafen hat keinen Treibstoff mehr – und plötzlich sinkt die Zahl der Flugbewegungen. Manche sprachen augenzwinkernd von der effektivsten Klimaschutzmaßnahme, die man je erlebt habe.

Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich ein anderes Bild: Der Ausfall ist kein Beitrag zum Klimaschutz, sondern vor allem ein Beleg dafür, wie anfällig und widersprüchlich das bestehende Luftverkehrssystem ist. Denn während am Standort Hamburg kurzfristig weniger Flugbewegungen stattfinden, bedeutet der Engpass in der Praxis nicht automatisch weniger Emissionen. Vielmehr führt er dazu, dass Airlines gezwungen sind, auf anderen Flughäfen mehr Kerosin als üblich zu tanken. Flugzeuge starten mit höheren Gewichten, verbrauchen dadurch mehr Energie und stoßen zusätzliche Treibhausgase aus. Manche Verbindungen müssen mit einem zusätzlichen Tankstopp geflogen werden, was Flugzeiten verlängert, Emissionen weiter erhöht und auch für die Lärmbelastung an anderen Standorten zusätzliche Belastungen schafft.

Damit wird sichtbar, wie paradox die Abhängigkeit des Luftverkehrs von fossilen Energieträgern funktioniert: Ein lokaler Ausfall erzeugt globale Mehrbelastungen. Anwohnerinnen und Anwohner rund um den Flughafen Hamburg genießen kurzfristig etwas ruhigere Nächte, während in Amsterdam, Hannover oder Frankfurt zusätzliche Bewegungen stattfinden. Das Problem wird also nicht gelöst, sondern lediglich verlagert – geografisch wie ökologisch.

Genau hier liegt der Kern der satirischen Bemerkung: Die Luftfahrtbranche versteht es seit Jahren, jede noch so offensichtliche Abhängigkeit in ein Argument für die vermeintliche Unverzichtbarkeit des Fliegens zu verwandeln. Statt einzugestehen, dass die Verwundbarkeit des Systems Ausdruck einer grundlegenden fossilen Sackgasse ist, werden Versorgungsengpässe als vorübergehende Störung verkauft, die es technisch zu überwinden gilt. Die eigentliche Debatte, ob es nicht endlich eine planvolle Reduktion der Abhängigkeit vom Kerosin geben müsste, bleibt ausgeblendet.

Es ist bezeichnend, dass nachhaltige Flugkraftstoffe in dieser Diskussion keine Rolle spielen. Die viel beschworenen alternativen Treibstoffe, von der Branche gern als Heilsbringer präsentiert, sind weder in den Mengen verfügbar noch preislich konkurrenzfähig. Ein realer Kerosinmangel wie in Hamburg zeigt schonungslos, dass es keine echte Substitutionsoption gibt. Anstatt den Engpass zum Anlass zu nehmen, über eine Transformation nachzudenken, setzt man auf logistische Notlösungen.

Dabei wäre die Lehre klar: Ein System, das nur funktioniert, wenn fossile Energie jederzeit unbegrenzt zur Verfügung steht, ist weder zukunftsfähig noch nachhaltig. Gerade die Luftfahrt, die sich gern als Rückgrat der Globalisierung versteht, offenbart in solchen Momenten ihre strukturelle Schwäche. Die Idee, Mobilität und Wirtschaft durch permanente Verfügbarkeit von Kerosin abzusichern, ist angesichts der Klimakrise nicht nur riskant, sondern verantwortungslos.

Für die Betroffenen des Fluglärms in Hamburg ist der Kerosinengpass ambivalent. Kurzfristig mag er für etwas Entlastung sorgen, langfristig bedeutet er jedoch keine Verbesserung. Denn die Verspätungsregelung, die Nacht für Nacht neue Ausnahmegenehmigungen ermöglicht, bleibt davon unberührt. Im Gegenteil: Sobald die Versorgung wiederhergestellt ist, wird der Betrieb wie gewohnt weitergehen – mit denselben strukturellen Problemen, denselben Schutzdefiziten und derselben politischen Untätigkeit.

Der Vorfall am Hamburger Flughafen sollte deshalb nicht als Kuriosum abgetan werden, sondern als Mahnung verstanden werden. Er zeigt, wie verletzlich ein System ist, das auf der ununterbrochenen Versorgung mit fossilen Energien basiert. Er zeigt, dass Ausfälle nicht zu Entlastungen führen, sondern zu neuen Belastungen anderswo. Und er zeigt vor allem, dass die Branche bis heute keinen ernsthaften Plan hat, wie sie sich aus dieser Abhängigkeit befreien will.

Satire kann manchmal die Wahrheit klarer auf den Punkt bringen als nüchterne Analyse. Der Gedanke, dass der leergefahrene Tank die wirksamste Klimaschutzmaßnahme sei, ist überspitzt – und zugleich entlarvend. Denn wenn die einzige reale Emissionsminderung darin besteht, Flüge zu verhindern, dann sagt das mehr über die verfehlte Klimapolitik im Luftverkehr aus als jede Hochglanzbroschüre über Nachhaltigkeit.

Was nötig wäre, ist nicht die Hoffnung auf zufällige Engpässe, sondern ein geplanter politischer Eingriff: klare Regeln zur Reduktion des Flugverkehrs, ein verbindlicher Ausbau von Alternativen auf Schiene und Straße, eine konsequente Verteuerung fossiler Flugkraftstoffe und ein verbindlicher Fahrplan für den Ausstieg. Nur so wird aus dem satirischen Gedanken eine echte Strategie – eine Strategie, die nicht auf Tankdeckel setzt, sondern auf Verantwortung.

Quelle: Panne in Raffinerie Heide – Kein Kerosin für den Hamburger Flughafen