Wenn der Tag am Hamburger Flughafen nach der genehmigten Betriebszeit um 23 Uhr endet, befinden sich große Teile der Bevölkerung rund um den Flughafen und weit im Hinterland in den An- und Abflugschneisen bereits im Bett und versuchen einen geruhsamen Schlaf und eine ruhige Nacht zu finden. Das gelingt in den letzten Jahren immer schlechter. Immer mehr und immer häufiger starten und landen Flugzeuge in Fuhlsbüttel auch weit nach 23 Uhr. Wirkliche Ruhe tritt häufig erst nach Mitternacht ein.
Dabei beginnt die gesetzliche Nachtruhe bereits um 22 Uhr. Wir haben das bereits verinnerlicht und wissen, dass in der regulären Zeit der Nachtruhe Fernseher und Musik leise zu drehen ist und sich langsam auch die körperliche und geistige Ruhe einstellt. Der Hamburger Flughafen verfügt bereits über das Privileg einer genehmigten Betriebszeit von 6 bis 23 Uhr, doch die scheint nicht zu reichen. Zwischen 22 und 23 Uhr gehört diese Stunde zu den höchstfrequentierten Flugzeiten im Tageslauf am Flughafen. In keiner Stunde wird mehr geflogen, gestartet oder gelandet.
Hinzu kommt die völlig überproportionale Entwicklung der Nachtflüge im Verhältnis zur verkehrlichen Entwicklung am Flughafen. Das zeigt, dass es ganz klarer und unmissverständlicher Regeln bedarf.
Über die gesundheitlichen Aspekte von nächtlichem Fluglärm brauchen wir nicht mehr diskutieren. Es ist eine gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis, dass besonders auch nächtlicher Fluglärm erheblichen negativen Einfluss auf unsere Gesundheit hat und auch für Todesfälle verantwortlich ist.
Lärm, egal in welcher Ausprägung, macht krank und tötet!
Nur wenige Tage vor der Bekanntgabe der richterlichen Entscheidung haben wir in der Allianz für den Fluglärmschutz gemeinsam mit den beteiligten Behörden, Flughafen und der Hamburger Politik einen Weg für eine intensive Prüfung eines Veränderungsprozesses der Verspätungsregel eingeschlagen. Allen Beteiligten ist eigentlich klar, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Es geht nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie.
Mit dem jetzigen Beschluss des Verwaltungsgerichts bekommt dieser Reformprozess eine ungeahnte Dynamik. Am Ende eines echten Abwägungsprozesses müssen jedoch die Interessen der Betroffenen stärker als bisher gewichtet sein. Das kann nur mit uns gemeinsam geschehen. Und das funktioniert nur in einem transparenten Beteiligungsprozess.
In einem Interview mit Markus Lorenz, sh:z stellt Martin Mosel, Vorsitzender der BIG-Fluglärm Hamburg e.V., klar, was aus Sicht der Betroffenen jetzt auf die Tagesordnung gehört und was berechtigt in den kommenden Wochen und Monaten zu befürchten ist…
Der Helmut-Schmidt-Airport liegt inmitten dichtbesiedelter Stadtteile und Umland-Orte. Ein wichtiger Schutz vor dem Krach verspäteter Flüge fällt nun weg. Interview mit einem der bekanntesten Kritiker des Hamburger Flughafens.
Für verspätete Flüge zwischen 23 und 24 Uhr müssen Airlines in Hamburg künftig keine Strafgebühren mehr zahlen. Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) hat Bußgelder und Gewinnabschöpfungen für Bummelflüge kürzlich aufgehoben. Vorausgegangen war ein Hinweis des Verwaltungsgerichts, ansonsten einer Klage von Lufthansa und Condor gegen die Verspätungsregelung stattzugeben.
Damit herrscht an Deutschlands fünftgrößtem Airport ein Regelungs-Vakuum für die Stunde vor Mitternacht. Kritiker fürchten, dass noch mehr Flüge Anwohner in Hamburg und im schleswig-holsteinischen Umland nach 23 Uhr um den Schlaf bringen. Der Dachverband der Bürgerinitiativen und Vereine für Fluglärm-, Klima- und Umweltschutz e.V. (BIG-Fluglärm Hamburg) sieht einen „Frontalangriff auf die Nachtruhe“. Im Interview erklärt der Vorsitzende Martin Mosel, was die gekippte Strafregelung bedeutet – und was ihm daran sogar gefällt.
Die Hamburger Umweltbehörde erhebt keine Straf- und Prüfgebühren mehr für Flüge zwischen 23 und 24 Uhr. Wie bewerten Sie das?
Dass die Umweltbehörde nicht nur das Gerichtsverfahren hinwirft, sondern gleich die ganze Regel aufgibt, wirkt nur auf den ersten Blick defätistisch. Auf den zweiten Blick kann ich diesem taktischen Schachzug nur Hochachtung abgewinnen.
Inwiefern?
Es eröffnet die Chance für eine Neuordnung der Verspätungsregelung, die lange Jahre nur zerrieben wurde. Die vom Fluglärm Betroffenen dürfen dabei aber nicht zum Spielball parteipolitischer Egoismen und Kraftmeierei werden. Wir brauchen jetzt klare Spielregeln für den Luftverkehr.
Welche unmittelbaren Folgen für den Flugverkehr zwischen 23 und 24 Uhr befürchten Sie?
Mit dem richterlich bescherten De-facto-Wegfall der Verspätungsregel wurde dem Flughafen und den Airlines eine zusätzliche Betriebsstunde auf dem Silbertablett serviert. Es bleibt abzuwarten, wie dieser Regelungsverfall ausgenutzt wird. Aber meine Erfahrung sagt mir: Es wird laut werden bis Mitternacht. Ich sehe die Fluggesellschaften und den Flughafen so abgebrüht, diese Stunde auszunutzen. Gerade in Spitzenzeiten wie jetzt zu den Osterferien und im Sommer. Wir werden das genau beobachten und öffentlich machen, wenn die Exzesse kommen. Und die werden kommen.
Die bisherige Regelung ist rechtlich nicht haltbar. Wie kann es sein, dass der Umweltbehörde beim Lärmschutz für Flughafenanrainer eine solch gravierende Fehleinschätzung unterläuft?
Da muss ich die Umweltbehörde in Schutz nehmen. Die Verspätungsregel in der bisherigen Ausprägung ist rund 40 Jahre alt und wurde im Planfeststellungsverfahren 1998 und dem OVG Verfahren 2001 als Schutzregel anerkannt. Auch als Teil der Betriebsgenehmigung und damit im Wirkbereich der Wirtschaftsbehörde war die Regelung bisher immer zweifelsfrei [Anm.: aus Sicht der Behörden]. Dass jetzt ein Richter in der Eingangsinstanz am Verwaltungsgericht diese Regelung infrage stellt, ist zumindest überprüfenswert. Aber das wurde mit dem Verzicht der Behörde auf das Verfahren und möglicher Nachfolgeinstanzen verhindert. Vielleicht aus guten Gründen.
Der grüne Umweltsenator Jens Kerstan will nun Ausnahmegenehmigungen für jeden einzelnen Flug nach 23 Uhr durchsetzen, so wie bisher nach 24 Uhr. Die Wirtschaftsbehörde lehnt das ab. Bisher hat sich in solchen Konfliktlagen am Flughafen immer die Wirtschaftsbehörde durchgesetzt. Hoffen Sie tatsächlich, dass es diesmal anders kommt?
Es muss diesmal anders sein. Eine Nachfolgeregelung ist so zu gestalten, dass sie die definierten Schutzinteressen erfüllt und die Betroffenen beteiligt werden. Die Gespräche zu einer neuen Verspätungsregelung müssen transparent erfolgen, sie dürfen nicht zu einem Hinterzimmer-Geklüngel im Rathaus werden und mit der Erwartungshaltung des Bürgermeisters überfrachtet sein. Das wäre der falsche Weg und würde nur neue Konflikte provozieren.
Was fordern Sie konkret?
Dass künftig Flüge ab 23 Uhr nur in absoluten Ausnahmefällen erlaubt werden und das dafür in jedem Fall vorher eine Einzelgenehmigung erteilt werden muss. Eigentlich beginnt die Nacht schon um 22 Uhr. Wir sind aber Realisten genug, um zu erkennen, dass die Forderung nach einer Nachtruhe des Flughafens ab 22 Uhr unter den politischen Umständen und der wirtschaftspolitischen Ausrichtung in Hamburg illusorisch wäre.
Der jetzige Zustand ohne jede Einschränkung des Flugverkehrs zwischen 23 und 24 Uhr kann Ihnen nicht gefallen. Glauben Sie an eine schnelle Nachfolgelösung?
Dass es noch vor der Bürgerschaftswahl 2025 zu einer neuen Verspätungsregelung kommt, daran habe ich Zweifel. Wünschenswert wäre eine Übergangsregelung, die die Interessen der Anwohner so lange absichert.
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