Im April 2020 hat die Bundesvereinigung gegen Fluglärm (BVF) „Überlegungen für eine nachhaltige Luftverkehrspolitik nach der Corona-Pandemie“ vorgelegt. Die folgenden Forderungen stellen eine Weiterentwicklung dieser Positionen dar. Sie sind für die Vereinigung von mehr als hundert Bürgerinitiativen und Städten die verbandspolitische Richtschnur für 2021. Wir werden die Parteien zur Bundestagswahl im September 2021 daran messen, ob sie eine Wende des Luftverkehrs entsprechend den folgenden Überlegungen in Angriff nehmen oder ob sie den bisherigen Kurs zulasten der Bevölkerung und der Umwelt fortsetzen und weiter mit Milliardenhilfen subventionieren wollen.
Luftverkehr verursacht enorme volkswirtschaftliche Kosten
Der im November 2020 vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) veröffentlichte Bericht über den Stand der Umsetzung der Klimaziele von Paris (2015) kommt zu dem erschreckenden Ergebnis: Die Fortsetzungen des bisherigen Kurses der Vertragsstaaten würde bis 2100 zu einer Erhöhung der Erderwärmung um 3,2 Grad Celsius führen, statt der angestrebten maximalen Erwärmung um 1,5 Grad Celsius.
Dieser Zwischenbericht unterstreicht die Dringlichkeit deutlich entschiedenerer Maßnahmen. Dies gilt auch für den Luftverkehr, dessen Belastung der Umwelt in der Vergangenheit aufgrund seines Wachstumskurses enorm zugenommen hat. Die Klimaschädigung durch den weltweiten Luftverkehr kommt mit 6,3% etwa der Indiens mit seinen 1,3 Milliarden Einwohnern gleich.
Das Geschäftsmodel des Luftverkehrs beruht auf dem Prinzip, der Umwelt und der Gesellschaft einen erheblichen Teil der Kosten aufzulasten, um günstiger Ticketpreise willen. Er verlagert von ihm ausgehende soziale, volkswirtschaftliche und ökologische Belastungen auf unbeteiligte Dritte. Der ruinöse Wettbewerb mit „Taxipreisen“ für Tickets ist nur möglich, wil der überwiegende Teil der vom Luftverkehr verursachten Kosten nicht von seinen Nutzern getragen werden muss. Dies gilt sowohl für die Schäden an der Umwelt durch Schadstoffemissionen wie auch durch Fluglärm, die die Allgemeinheit, künftige Generationen und vor allem die Anwohner von Flughäfen zu tragen haben. Diese müssen nicht nur gesundheitliche Belastungen, sondern auch Wertminderung ihrer Immobilien in Kauf nehmen, und Anliegerstädte von Flughäfen büßen an Lebensqualität ein. Aber auch die öffentlichen Gesundheitssysteme werden für Schāden in Anspruch genommen, die der Luftverkehr verursacht.
Die Geschäftsmodelle des Luftverkehrs sind nicht nachhaltig, weil Dritte und die Umwelt in erheblichem Maße belastet werden. Sie dürfen deshalb in ihrer derzeitigen Form keine Zukunft haben!
Jedes Jahr wird in Deutschland mehr als 12 Milliarden € allein aus dem Bundeshaushalt für die Unterstützung des Luftverkehrs zur Verfügung gestellt. Hinzu kommen weitere Subventionen auf Ebene der Länder und der Kommunen. Zusammen mit der Möglichkeit, erhebliche volkswirtschaftliche Kosten der Allgemeinheit und der Umwelt in Rechnung zu stellen, entsteht auf diese Weise auch national ein unvertretbarer Wettbewerbsvorteil gegenüber dem ökologisch günstigeren Schienenverkehr.
Eine Fortsetzung eines Systems darf es nicht geben. Die Pandemie muss die Bundesregierung und den Bundestag endlich aufrütteln, politische Schritte einzuleiten, um dieses nicht-nachhaltige System zu verlassen und den Luftverkehr auf einen nachhaltigen und kostengerechten Entwicklungskurs zu lenken. Neben der Bundesregierung ist insbesondere die Europäische Union gefordert, die Weichen neu zu stellen. Die aktuelle Krise muss genutzt werden, um eine grundsätzliche Wende des Luftverkehrs einzuleiten. Das Ziel: Ein klimaneutraler und nachhaltiger Luftverkehr.
Für einen klimaneutralen und nachhaltigen Luftverkehr bis spätestens 2050
Das Ziel eines Entwicklungspfads, der bis spätestens 2050 zu einem klimaneutralen und nachhaltigen Luftverkehr in Europa führt, muss sein, alle Belastungen der Gesellschaft und der Umwelt zu vermeiden oder vollständig auszugleichen. Diese Strategie folgt den internationalen und nationalen Klimazielen sowie dem Verursacherprinzip und orientiert sich-an marktwirtschaftlichen Grundsätzen.
Vorrangig gilt es Schädigungen der Gesellschaft und der Umwelt zu vermeiden. Wo dies nicht möglich ist, müssen sich die vom Luftverkehr verursachten sozialen, gesundheitlichen, ökonomischen und ökologischen Kosten vollständig in den Ticketpreisen niederschlagen, um diese Schäden entweder gegenüber den Geschädigten oder gegenüber der Allgemeinheit auszugleichen.
Schritte auf dem Wege zu diesem Ziel können sein:
- Die Streichung aller limaschädlichen Subventionen für den Luftverkehr bis 2025;
- Die vollständige Einbeziehung des Luftverkehrs in den Europäischen Emissionshandel;
- Eine regelmäßige Anpassung der Luftverkehrsabgabe und Einrichtung eines Ausgleichsfonds für vom Luftverkehr verursachte Belastungen und Schädigungen im Gesundheits- und Sozialbereich;
- Eine Überführung des heutigen Systems der Start- und Landegebühren in ein Kompensationssystem, mit dessen Einnahmen die Wertminderungen und Belastungen der Anwohner und der Kommunen durch den Luftverkehr ausgleichen werden sollen;
- Eine kontinuierliche Reduzierung der Kurzstreckenflüge und deren vollständige Einstellung bis 2030;
- Die grundlegende Überarbeitung des Fluglärmgesetzes von 2007 (FluLärmG) und dessen Ausgestaltung im Sinne der obigen Nachhaltigkeitsziele;
- Insbesondere, die Absenkung der Lärmgrenzwerte für Fluglärm orientiert an den aktuellen Erkenntnissen der Lärmwirkungsforschung und Empfehlungen der WHO, bei gleichzeitiger Beseitigung der „Zweiklassengesellschaft“ unter den Fluglärmbetroffenen;
- Die Einführung von Nachtflugverboten zwischen 22 und 6 Uhr an allen deutschen Flughäfen zum Schutz der Nachtruhe der Anwohner;
- Die Absenkung der Grenzwerte für NO, und Feinstaub auf das gesundheitlich vertretbare Risikoniveau;
- Die Festlegung von Grenzwerten für Ultrafeinstaub (PM 0,1), ausgerichtet an den Empfehlungen der Gesundheitswissenschaft.
Quelle: Bundesvereinigung gegen Fluglärm (BVF), 2021